Selbstverständnis

Das Junge Grüne Selbstverständnis 2016

Die Jungen Grünen sind die größte von ehrenamtlichen Aktivist*innen getragene Organisation innerhalb der Grünen Bewegung in Österreich. Die Jungen Grünen verstehen sich ausdrücklich als linke Organisation.

Wir wollen Gesellschaft verändern, indem wir so viele Menschen wie möglich motivieren, selber politisch aktiv zu werden für die Welt, in der sie leben wollen. Gemeinsam organisieren wir vielfältige Veranstaltungen in der politischen Bildungsarbeit, von Vorträgen über Filmabende zu Camps und Kongressen. Wir setzen uns aktiv für eine bessere Gesellschaft ein mit Kampagnen, Aktionen und lokalem Organisationsaufbau.

Seit Beginn der grünen Bewegung wurden zahlreiche Erfolge erzielt, aber auch viele Fehler gemacht. Veränderung ist nur möglich, wenn wir verstehen, dass Dinge immer eine Geschichte, Gegenwart und Zukunft haben. Darum ist es für uns zentral, aus den Fehlern der Grünen Geschichte zu lernen. Wir beziehen uns auf den Grünen Gründungsgedanken eines demokratischen Aufbruchs. Wir wollen aber nicht die Irrtümer der Partei wiederholen. Die Partei wurde aufgrund mangelnder Analyse von jenen Strukturen und Institutionen aufgefressen, die sie zuvor naiv abgelehnt hatte. Sie ist Teil des Parteiensystems geworden, das sie kritisiert hatte.

Die Arme der Parteien reichen gerade in Österreich in alle Ebenen der Gesellschaft. Deshalb macht es Sinn, sich auch innerhalb von Parteien zu betätigen. So können wir Menschen dazu befähigen, sich politisch zu bilden und demokratisch zu organisieren. Der Aufbau einer starken und politisch schlagkräftigen Organisation steht für uns im Vordergrund. Das Parlament ist nur eines von vielen notwendigen Kampffeldern. Denn Gesellschaft kann sich nur verändern, wenn viele Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft aktiv werden.

Die Jungen Grünen unterscheidet von vielen anderen, dass wir keine selbstbezogene Sandkastenrebellion üben. Die ständige identitäre Beschäftigung mit der eigenen Partei sehen wir als  Scheitern. Es geht darum, eigenständig Themen zu setzen und Gesellschaft zu beeinflussen, Dynamiken zu entwickeln und Organisation aufzubauen. Politik soll keine Jugendsünde sein. Unser Ziel ist es nicht, möglichst viele Menschen in die Partei zu bringen. Wir wollen, dass möglichst viele Menschen auch nach ihrer Zeit bei den Jungen Grünen auf allen Ebenen der Gesellschaft für Veränderung kämpfen.

Unsere Gesellschaft wäre heute mehr denn je in der Lage, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Dennoch leiden wir unter der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und menschenfeindlichen Ideologien, die unsere Freiheiten einschränken. Der enorme Reichtum dieser Gesellschaft wird nicht eingesetzt, um die Welt zu verbessern. Stattdessen herrscht das kapitalistische Streben nach Profit, das den Menschen schadet, das tötet und zerstört.

Der Weg zu einer vernünftigen und solidarischen Gesellschaft ist geprägt von Kämpfen, im Großen wie im Kleinen. Wir versuchen, das Schlimmste zu verhindern und gegen Sexismus, Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Homo- und Transphobie zu kämpfen. Gleichzeitig wollen wir nicht die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus aus den Augen verlieren.

Stark sind wir nur dort, wo wir Wurzeln schlagen. Dort, wo wir uns vor Ort in den Auseinandersetzungen des Alltags engagieren. Wir wollen Menschen wieder für Politik begeistern, für die Perspektive einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft. Täglich lernen wir, uns mit vielen anderen Menschen zu organisieren und uns für gemeinsame Ziele einzusetzen. Gemeinsam wollen wir als Junge Grüne für ein freies und selbstbestimmtes Leben kämpfen – und das für alle.

Selbstverständnis beschlossen am 24.4.2016

Kontextualisierung zum Selbstverständnis

Marcel Andreu

Marcel Andreu (27) war von 2014 bis 2017 politischer Geschäftsführer der Jungen Grünen und von Jänner 2017 bis Juli 2017 weiteres Bundesvorstandsmitglied. Seit 2015 ist er Redaktionsmitglied des mosaik-Blog. 

Die Idee zu einem Selbstverständnis der Jungen Grünen hat eine lange Vorgeschichte. Als die Jungen Grünen entstanden, waren sie eine Mischung aus drei Richtungen. Zum einen aus innerhalb der Grünen eher konservativen Kräften, zum anderen aus solchen, die sich linke, vielleicht sogar antikapitalistische Grüne wünschten. Zum Dritten solche, die sich kaum als Grüne und mehr als Teil der radikalen Linken im weiteren Sinne sahen, aber das grüne Umfeld als ein pragmatisch günstiges Betätigungsfeld betrachteten. Natürlich ist die Gründung der Jungen Grünen nicht zu verstehen ohne die Ablehnung der Art und Weise, wie die Grünalternative Jugend – ihre Vorgänger*innenorganisation – gearbeitet und funktioniert hat. Diese Ablehnung, die Notwendigkeit, es anders zu machen, war vielleicht der gemeinsame Nenner, der die so verschiedenen politischen Strömungen zweckmäßig zusammengebracht hat. Und auch wenn sich die Jungen Grünen mit der Zeit immer entschiedener links positioniert haben, so ist ein Gründungsmoment stets geblieben, das auch heute noch wesentlich ist: Man darf nie die Macht unterschätzen, die Strukturen über einen ausüben.

Man muss beständig reflektieren, was das politische Umfeld, die Institutionen, denen man nahe steht und in denen man vielleicht auch vertreten ist, mit einem machen. Man kann noch so verbalradikal sein – am Ende sitzt man dann doch gutbezahlt im Nationalrat oder im Parlamentsklub und verschwendet jahrzehntelang seine Zeit. Es ist nicht zuletzt die identitär-kindische Abgrenzerei von der Mutterpartei nicht nur ein Mangel an Reflexion, sondern schon das Zuklappen der Falle: Man ignoriert seine eigene Verstricktheit und seinen strategischen wie taktischen Umgang mit den gegebenen Bedingungen, in denen man aus hoffentlich guten Gründen Politik macht. Anstatt das zu reflektieren, tut man so, als könne man eine Distanz vom Politapparat herbeischimpfen, zu dem man eine selbstbezogene Hassliebe pflegt. Diese Distanz kann man aber nur praktisch, strukturell und organisatorisch beweisen. Vielleicht noch schlimmer ist (aber vielleicht auch nicht), man wendet sich komplett von der Politik ab – und tut diese als „Jugendsünde“ ab: Linke Politik gilt dann als jugendlicher Übermut, der keinen Platz im Leben eines*r Erwachsenen hat.

Diese Vorsicht gegenüber der Sogwirkung der Institutionen, gerade in einem Land wie Österreich, das auf allen Ebenen von Parteien und ihrer Freunderlwirtschaft durchsetzt ist, hatte ganz zentrale Auswirkungen auf die Jungen Grünen als Organisation und hat sie permanent über sich selbst hinausgetrieben: Wir haben es uns nicht immer leicht gemacht (manchmal vielleicht schon, zugegeben), wir haben uns ständig selbst herausgefordert, um nicht so zu enden wie die Partei, die wir als unsere Mutterpartei gewählt haben: erstarrt, wirkungslos, machtlos, ja gar ohne den Anspruch, Macht zu gewinnen und diese Gesellschaft zu gestalten. Denn wonach sollte man sie auch gestalten? Die Eigendynamik der Institutionen hat jegliche Vision aufgefressen, die die Grünen, oder zumindest Teile von ihnen, vielleicht einmal gehabt haben möchten.

Das ist vielleicht das Wichtigste an diesem Selbstverständnis. Links ist man schnell einmal. So wichtig wie es ist, klar festzuhalten, dass der Kapitalismus ein kaputtes, überholtes und abzuschaffendes System ist, dass für Diskriminierung und Ausgrenzung in einer vernünftigen Gesellschaft kein Platz sein darf, so wenig originell ist es zugleich. Diese Erkenntnis haben unzählige größere und kleinere politische Gruppen vor uns auch erlangt. Auch im grünen Parteiprogramm von 2001 kann man Ähnliches lesen. Was an diesem Selbstverständnis der Jungen Grünen so wesentlich ist, ist das Festhalten und Erinnern unseres politischen Anspruches und Ansatzes: Eine Auseinandersetzung mit der Machtfrage, sowohl mit der Frage, wie wir – tatsächliche, nicht nur scheinbare – Wirkmächtigkeit in dieser Gesellschaft erreichen können. Außerdem mit der Frage, welche Macht unsere Stellung als Jugendorganisation einer österreichischen Parlamentspartei auf uns ausübt, wie leicht es ist, vom Weg der gesellschaftlichen Veränderungen abzukommen und in diesem kaputten System anzukommen.

Das Selbstverständnis war der bescheidene erste Schritt, um dieses Verhältnis zur Gesellschaft, zur „politischen Sphäre“ (allein der Begriff verrät die Abgekapselt- und Abgehobenheit, die die auch selbsternannt linke institutionelle Politik längst ausmacht), zu uns selbst als Organisation festzuhalten. Breiter diskutiert wurde die Idee eines Selbstverständnisses erstmals 2015 im Bundesvorstand, als ursprünglich geplant war, das Selbstverständnis bis zum Bundeskongress 2016 zu diskutieren und dort zu beschließen. Wie das so ist, verschieben sich in der Praxis gerne mal Dinge, am Bundeskongress wurde nur eine Diskussionsgrundlage beschlossen, und das Selbstverständnis wurde zum ersten Bundesausschuss 2016 beschlossen, nach einer Diskussion, die sicher besser und breiter organisiert hätte werden können (eine Schwäche der Jungen Grünen, das es für die Jungen Linken mitzunehmen und zu verbessern gilt, ohne im Hickhack der permanenten Selbstbeschäftigung zu versinken).

Die Idee hinter dem Selbstverständnis ist jedoch um einiges älter. Jene, die schon etwas länger dabei sind, erinnern sich vielleicht an den sagenumwobenen Grundsatzprozess, den wir ungefähr jährlich versprochen hatten. Aus diesem ist nichts geworden; auch hier hat die permanente Überforderung der praktischen Herausforderungen in einer großen ehrenamtlichen Organisation uns ein Schnippchen geschlagen. Die Vereinbarkeit von, vereinfacht gesagt, dem „inneren“ Diskussions- und Theoriebildungsprozess und der „äußeren“ Überzeugungs-, Organisierungs- und Mobilisierungsarbeit werden wir als Junge Linke besser machen müssen als die Jungen Grünen es taten). Aber die Überlegungen waren ähnliche: Die Gründungsgeneration, die ein akutes und aus eigener Erfahrung entstandenes Bewusstsein von den Fallstricken linker oder grüner Jugendorganisierung hatte, tritt langsam, aber sicher den Rückzug an. Wie können diese Erfahrungen konserviert und weitergegeben werden, um nicht als sich langsam konsolidierende Organisation in Trägheit und Selbstbezogenheit zu verfallen? Anzeichen dafür gab es durchaus: Zum Schluss waren wir vielleicht manchmal allzu zufrieden mit uns selbst; die Gefahr, das Bewusstsein von den Widersprüchen linker Organisierung erstens überhaupt und zweitens in einem grünen Umfeld durch Verbalradikalismus verschwinden machen zu wollen, war durchaus gegeben.

Schönheit und Schwierigkeit dieses Selbstverständnisses ist es, dass es diese Widersprüche eben nicht zu verschleiert versucht. Es macht daher alle ein bisschen unzufrieden: Diejenigen, die sich eine grüne Jugendorganisation als leninistische Kampforganisation vorstellen, diejenigen, denen zu viel Kampagne war und zu wenig Lesekreis, diejenigen, die lieber ein engeres Verhältnis zu den Grünen geknüpft hätten. Nicht alles natürlich, was womöglich sauer aufstößt, ist der objektiven Situation geschuldet. Manches ist Zeitdruck, Unerfahrenheit, strategische Beschönigung, durchaus auch Verleugnung unangenehmer Realitäten und eben das, was die eine (Bundesvorstand) oder andere (Parteijugend allgemein) Struktur mit einem macht, ob man will oder nicht. Natürlich durfte es auch kein Dokument bloß für die Eingeweihten sein – der heikle Spagat war es, das Selbstverständnis noch dazu als Vorstellung für Interessierte und Sympathisant*innen dienen sollte sowie als Anhaltspunkt für Aktivist*innen, um eine Antwort auf häufig gestellte Fragen zu bieten. Es war also auch ganz praktisch als Werkzeug konzipiert – und das war auch wichtig, denn andernfalls wäre es nach Beschluss einfach wieder in der Schublade verschwunden. Und eh klar: Einigermaßen kurz musste es natürlich auch noch sein.

Aus dieser Mischung diverser Ansprüche ergibt sich ein irgendwo ziemlich seltsames, aber auch ziemlich interessantes und vor allem vielsagendes Dokument. Ich habe damals als Politischer Geschäftsführer den Prozess organisiert, der zunächst zur Diskussionsgrundlage und später zur beschlossenen Endversion geführt hat. Daher kenne ich die Überlegungen, Kompromisse und Prioritätensetzungen dahinter sehr gut.