Demokratieverständnis

FÜR EINE LEBENDIGE UND POLITISCHE BASISDEMOKRATIE VON UNTEN

Antrag zum 2. Bundesausschuss 2016 der Jungen Grünen am 6. November 2016 in Wien
Antragsteller: Bundesvorstand

Die Jungen Grünen sind in den letzten Jahren enorm gewachsen. Viele neue Aktivist*innen sind in jahrelanger schlagkräftiger Kampagnen- und Organisierungsarbeit engagierter Menschen in den Ländern und Bezirken zu uns gestoßen. Je größer und vielfältiger wir werden, desto wichtiger ist es, dass wir uns auf allen Ebenen als einen gemeinsamen Verband verstehen, dass wir eine von uns allen geteilte Vorstellung erarbeiten, was wir als politische Organisation erreichen wollen. Nur wenn wir uns organisieren unter einer gemeinsamen Strategie und unsere Kräfte bündeln für gemeinsame Ziele, können wir die Verhältnisse in unserer Gesellschaft verändern, vor Ort und darüber hinaus.

Damit dieser Prozess von allen Aktivist*innen gestaltet werden kann und sich möglichst viele aktiv in die Diskussion um unsere politischen Ziele einbringen können, braucht es eine lebendige Diskussionskultur, eine lebendige Feedbackkultur, eine lebendige Basisdemokratie. Hier sind wir als Führungskräfte in der Pflicht: Wir müssen es möglichst vielen Leuten ermöglichen, aktiv am Verbandsleben teilzunehmen. Es braucht eine gelungene und effiziente Kultur der Zusammenarbeit, die auch die zeitlichen Ressourcen anderer im Blick hat.

POLITISCH DISKUTIEREN UND ENTSCHEIDEN ANSTATT ENGSTIRNIG JEDEN BLÖDSINN ZERREDEN

Oft wird Basisdemokratie missverstanden als die Beteiligung aller an sämtlichen operativen Prozessen der Organisation, seien sie noch so bürokratisch und politisch unbedeutend. Basisdemokratie ist nach diesem formalistischen Verständnis, dass alle mitentscheiden sollen, ob es auf dem Gruppentreffen Soletti oder Chips gibt. Das aber ist nicht Basisdemokratie, sondern ihr Tod. Diskussionen und Gremien werden so nach und nach entpolitisiert, werden mühsam, langweilig und irrelevant.

Als Führungskräfte ist es unsere Aufgabe, Basisdemokratie auf sinnvolle Art zu ermöglichen. Dazu braucht es klare Ziele und klare Verantwortlichkeiten. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir eine möglichst breite Diskussion über die grundlegenden Fragen unserer politischen Arbeit führen können. Das gilt für die Landes- und die Bundesebene, aber vor allem auch für die Bezirksgruppen. Gerade vor Ort können wir viel tun, um die politische Transparenz über relevante politische Fragen zu erhöhen und möglichst viele Menschen in wichtige Entscheidungen einzubinden.

Der Raum für die gleichberechtigte Diskussion über unsere politischen Entscheidungsfindungen und Ziele muss durch verschiedene Maßnahmen bewusst geschaffen werden. Wenn wir lieber stundenlang über jede Detailfrage ihrer Umsetzung diskutieren anstatt über die politischen Zielsetzungen, die wir verfolgen wollen, dann bleiben nur die übrig, die auch die Zeit für solche Diskussionen haben: Ausschließender geht es nicht.

GEMEINSAM STÄRKER WERDEN STATT MISSTRAUEN UND SCHWÄCHE

Darum müssen wir Basisdemokratie gestalten lernen. Schon auf Bezirks- und Landesebene muss eine Kultur gefördert werden, die aufbaut auf offener Diskussion, auf demokratischer politischer Entscheidungsfindung, aber auch auf Verantwortung für die gemeinsamen Interessen unserer politischen Arbeit. Es gilt daher, Strukturen zu entwickeln, die die Demokratie vor Ort fördern und damit die politische Debatte bei den Jungen Grünen insgesamt voranbringen. Wie können wir Demokratie und Teilhabe in den Bezirksgruppen garantieren? Was ist unsere Rolle als Führungskräfte in Bezirk und Land? Das sind Fragen, denen wir uns ganz konkret in unserer Arbeit stellen müssen.

Je stärker die Bundesorganisation ist, desto stärker sind die Landesorganisationen und Bezirksgruppen; je stärker die Landesorganisationen und Bezirksgruppen sind, desto stärker ist die Bundesorganisation. Wir organisieren uns für gemeinsame Ziele. Darum ist es wichtig, einen konstruktiven Austausch zu gestalten, der von Vertrauen und gemeinsamem Gestaltungswillen geprägt ist. Auf allen Ebenen müssen wir lernen, Kritik zu formulieren und an einer produktiven Feedbackkultur zu arbeiten.

BASISDEMOKRATIE ALS FÜHRUNGSVERANTWORTUNG

Konflikte müssen wir als Führungskräfte frühzeitig erkennen und offen ansprechen. Es braucht ein Bewusstsein für die Räume, in denen wir Konflikte produktiv ausverhandeln können, stets mit der Bereitschaft zum Kompromiss im Sinne des gemeinsamen Organisationsbewusstseins. Maßnahmen zur besseren Vernetzung und Kommunikation zwischen Führungskräften, wie es beispielsweise die Führungskräfteklausur im Juli war, sind ein wichtiger Bestandteil darin, sich diese Fähigkeiten anzueignen. Insgesamt müssen wir Rücksicht auf unsere jeweiligen Arbeitsumfelder nehmen. Auf verschiedenen Ebenen des Verbands gibt es unterschiedlich langfristige Planungsfristen, unterschiedliche Kommunikationsweisen und unterschiedliche Arbeitsintensitäten. Darum braucht es insbesondere bei den Führungskräften ein Gefühl dafür, was gerade wichtig ist und was nicht, und in welchen Räumen und über welche Kommunikationswege man welche Fragen thematisiert.

Wir müssen unsere Vorbildwirkung als Führungskräfte annehmen und uns trauen, Entscheidungen zu fällen und dafür Verantwortung zu übernehmen. Nur so können wir glaubwürdig und effektiv die Rahmenbedingungen schaffen, in denen wir Fragen der politischen Zielsetzung und Steuerung diskutieren und möglichst viele Menschen zur demokratischen Teilhabe ermutigen, anstatt Gremien durch das mühsame Überfrachten mit bürokratischen Problemen zu entwerten.

FÜR EINE LEBENDIGE DEBATTE ÜBER POLITISCHE ZIELE UND STRATEGIEN

Basisdemokratie darf nicht zum ideologisch-rituellen Selbstzweck verkommen, sondern muss immer daran gemessen werden, wie vielen Menschen sie die Teilhabe an politischen Entscheidungsfindungen ermöglicht. Eine Form der Basisdemokratie zu schaffen, die nicht lähmend und von gegenseitigem Misstrauen geprägt ist, die im Gegenteil eine breite Mobilisierung für unsere gemeinsamen Ziele bedeutet, ist eine der zentralen Herausforderungen, die wir als gewachsene und weiter wachsende Organisation meistern wollen. Umso wichtiger wird dies, als wir uns in einer Zeit des personellen und organisatorischen Umbruchs befinden, in dem wir gemeinsam daran arbeiten müssen, den Übergang erfolgreich zu gestalten. Mit der Kleingruppendiskussion am 1. Bundesausschuss im April und der Führungskräfteklausur im Juli haben wir wichtige erste Schritte gesetzt, um gemeinsam eine produktive Führungskultur zu erarbeiten, die auf die demokratische Einbindung möglichst vieler Aktivist*innen in den politischen Fragen unserer Arbeit abzielt.

In zahlreichen Bereichen wollen wir eine lebendige Basisdemokratie auf allen Ebenen schaffen, eine Debatte über unsere politischen Ziele und Strategien. Unter anderem mit folgenden Projekten und Maßnahmen soll dieses Ziel erreicht werden:

  • Strukturentwicklung vor Ort: Wir müssen neue Standards in der der Bezirksgruppenarbeit schaffen. Das soll etwa über Projekte wie den Bezirksgruppenlehrgang geschehen, der in zwei Schienen für eher ländliche Gemeinden und kleinere Städte einerseits, Großstädte andererseits unterteilt ist. Aus dem Bezirksgruppenlehrgang erwachsen Pilotprojekte in Bereichen wie Plenumsgestaltung, Aktivist*innenmanagement und Pressearbeit, die in einzelnen Bezirksgruppen erprobt werden sollen. Außerdem soll ein Grünalternativer Basislehrgang mit einer stärkeren Ausrichtung auf organisatorische Fragen vor Ort stattfinden, sowie Bezirksgruppenseminare, in denen eine Bezirksgruppe sich eigenständig über die Organisation von und die Teilnahme an Bildungsformaten für eine interne Zielgruppe politisch weiterentwickeln soll.
  • Transparente politisch-strategische Diskussionsprozesse: Diese Prozesse sollen gefördert werden durch die Entwicklung von Kennzahlen und Zielen auf Landesebene mit Unterstützung der Bundesorganisation. Konkret soll diese Förderung etwa durch verstärkte Bund-Länder-Vernetzung, über die Arbeit des Geschäftsbereichs Qualitätssicherung und Gender, verbesserte und formalisierte Kommunikation in den Landesorganisationen inklusive standardisierter Verfahren für die Einsicht in Finanzen und Protokolle, sowie Entwicklung neuer Standards für Sitzungen wie Landesvorstandssitzungen, Landesausschüsse und Landeskongresse geschehen.
  • Produktive Feedbackkultur und Konfliktfähigkeit: Darunter fällt die Erarbeitung standardisierter Feedbackfragen, entlang welcher strategische Fragestellungen politisch diskutiert werden können sowie Einführung von Räumen, in denen Feedback stattfinden kann, z.B. ein Feedbackforum beim Bundesausschuss mit anschließender Organisierung inhaltlich-strategischer Diskussionsprozesse auf Landes- und Bezirksebene im Vorfeld des Bundeskongresses. Darüber hinaus bedarf es einer Reform der Antragsverhandlungsprozesse auf dem Bundeskongress und Trainings in den Bereichen Konfliktmanagement und Gremiengestaltung.
  • Vernetzung von Führungskräften und Weiterentwicklung unserer Führungskultur: Wir streben eine stärkere Vernetzung von Führungskräften der Jungen Grünen an, über Anlässe wie beispielsweise die Launch-Events zu den Ausgaben des Theoriemagazins, aber auch über Lehrgänge für Führungkräfte wie den Sprecher*innenlehrgang und den Finanzreferent*innenlehrgang. Der Kontakt zwischen Landesvorständen und Bundesorganisation soll intensiviert und standardisiert werden, um Feedbackprozesse zu organisieren und gemeinsame Ziele zu erarbeiten. Diese Abläufe werden vom Geschäftsbereich „Länder und Bezirke“ erarbeitet.
Beschluss:

„Der Bundesausschuss möge den Bundesvorstand beauftragen, gemäß dieser Analyse ein lebendige und politische Basisdemokratie bei den Jungen Grünen fördern und die Umsetzung von dazu geeigneten Projekten wie den oben genannten anzustreben.“