Kurswechsel für Europa

Antrag zum 5. Bundeskongress der Jungen Grünen am 5. Jänner 2014 in Deutschlandsberg
Antragsteller*in: Bundesvorstand

Von Europa ist oft die Rede wie von etwas Ungreifbarem. Manchmal klingt es sogar so, als ob es ein fernes Land wäre von dem unsere Leben bestimmt wird. Politiker*innen reden gerne davon, dass sie “nach Europa fahren” um “mit Europa” zu verhandeln. Wir sagen aber Europa ist hier und jetzt, unser Alltagsleben, Realität. Europa eine Grenze zu geben ist nicht unser Ziel. Die geographischen Grenzen sind Gegenstand ideologischer Debatten, genauso was denn europäische Kultur sei, wo sie beginnt und wo sie aufhört. Wer in Wien in den Zug steigt und nach Istanbul fährt bekommt Einfamilienhäuser und Plattenbau, genauso wie Kirchen, Moscheen und Synagogen an einzelnen Stationen in einem fließenden Übergang zu sehen. Wer Europa kulturell und geographisch begrenzen will, endet in nationalistischen, ausgrenzenden Debatten und steht unserer Vorstellung eines offenen, vereinten, demokratischen, sozialen und politischen Europa entgegen.

Europa als Alltagsrealität bedeutet: Massentod im Mittelmeer, Obdachlosigkeit, Massenverarmung, astronomisch hohe Jugendarbeitslosigkeit. In den vergangen 20 Jahrzehnten starben mindestens 20.000 Menschen an Europas Grenzpolitik, einer rassistischen Politik zur „Absicherung“ des Binnenmarktes. Seit Ausbruch der vielgestaltigen ökonomischen Krise rettet sich die konservative Elite Europas mit tatkräftiger Unterstützung der europäischen Sozialdemokratie mit autoritären, von radikalem Sparzwang getriebenen Methoden durch die Krise. Die Verfolgung von Roma und Sinti greift um sich, genauso wie das Aufkeimen des Antisemitismus. Das ist nicht das Europa, in dem wir leben wollen. Hier sind die Eckpfeiler unserer Vorstellung von einem anderen Europa:

Demokratisches Europa

Ein demokratisches Europa bedeutet für uns nicht nur eine staatliche Einheit durch eine Verfassung und Institutionen herzustellen, sondern durch die Stärkung einer europäischen Zivilgesellschaft. Insbesondere als ökologisch- und sozialdenkende Menschen gilt es sich europaweit politisch zu organisieren und die Förderung der europäischen Zivilgesellschaft nicht alleine von Integrationsprogrammen wie Erasmus oder dem Europäischen Freiwilligen Jahr abhängig zu machen. Ohne eine starke europäische Zivilgesellschaft ist ein demokratisches Europa undenkbar. Politische Entscheidungen dürfen nicht im Verborgenen gefällt werden.

  • Wir fordern mehr Macht für das europäische Parlament in allen Politikbereichen der Europäischen Union.
  • Wir fordern die Stärkung europäischer Bürger*inneninitiativen, europäischer Parteien und Listen sowie deren Einrichtungen und die Stärkung von NGOs und Gewerkschaften, die sich europaweit engagieren.
  • Wir fordern die demokratische Kontrolle von Geheimdiensten und setzen uns gegen eine Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern durch den Staat, und für einen umfassenden Datenschutz ein.
Ökologisches Europa

Wir wollen ein ökologisches Europa in dem die Energiewende, eine ökologische und soziale Agrarpolitik, Umweltschutz und Tierschutz Priorität haben.

  • Atomkraft hat endgültig ausgedient. Kein Cent soll in die Neuerrichtung neuer AKWs fließen, jegliche staatliche Subventionen zurückgefahren werden und die restlichen AKWs schrittweise abgeschalten werden.
  • Die Energiewende soll langfristig eine Energieversorgung mit hundert Prozent erneuerbaren Energien ermöglichen. Die Energieversorgung muss dezentralisiert und demokratisiert werden.
  • Eine gemeinsame europäische Agrarpolitik muss ökologisch und sozial ausgerichtet sein. Sie muss aber auch solidarisch ausgerichtet sein und darf nicht zum Nachteil von Entwicklungsländern ausgerichtet sein.
  • Klima- und Umweltschutz dürfen nicht nur Lippenbekenntnisse bei Staatsgipfeln sein sondern müssen ernsthaft verfolgt werden.
  • Wir fordern das Ende von Massentierhaltung und quälerischen Tiertransporten.
Soziales Europa: Die Sozialunion

Unser Gegenentwurf zu neoliberalen Sparprogrammen und Sozialabbau heißt Sozialunion. Ein gutes Leben für alle, das nicht auf dem Elend anderer baut muss in Europa möglich sein. Wir wollen uns nicht einer ökonomischen Logik unterwerfen sondern Freiräume schaffen und leben.

  • Wir fordern hohe europaweite Mindestlöhne und Arbeitszeitverkürzung. Mindestpensionen und soziale Absicherungsprogramme müssen unterstützt werden. Langfristig fordern wir ein bedingungsloses Grundeinkommen in ganz Europa.
  • Europaweite Gewerkschaftsverbände müssen gestärkt werden, Gewerkschafts-, Arbeits- und Sozialrechte ausgebaut.
  • Wir fordern mehr Programme zur Senkung der Erwerbsarbeitslosigkeit und zur Gewährleistung von Ausbildungsplätzen.
  • Wir kämpfen für eine Umverteilung von Vermögen, für die Besteuerung von Reichtum und für eine europaweite Finanztransaktionssteuer.
  • Die Anerkennung von Bildungsabschlüssen und die Angleichung von Bildungssystemen sind nötig. Die Idee hinter dem Bologna-Prozess war richtig, aber die Umsetzung ist gescheitert. In Bezug auf Universitäten muss das Ziel sein, den geistigen Austausch zu fördern, diesen aber nicht gleichzuschalten und ökonomischen Verwertungszwecken unterzuordnen.
Offenes Europa

Wir verfolgen das langfristige Ziel eines Europas ohne Grenzen. Wir wollen die “Festung Europa” schleifen und dafür sorgen, dass kein Mensch in Europa illegal ist. Dafür muss das Asylrecht umfassend reformiert werden. Für ein offenes Europa zu kämpfen heißt für uns aber auch gegen ein militaristisches Europa zu kämpfen.

  • Flüchtende Menschen sollen die Möglichkeit haben, auch außerhalb Europas in Botschaften Asylanträge zu stellen. Das Dublin-Abkommen muss abgeschafft werden und durch freie Aufenthaltswahl in der Union und ein einheitliches Asylverfahren ersetzt werden.
  • Das Asylrecht muss in Europa über die von der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Asylgründe erweitert werden und auch Flucht aufgrund von sexueller Orientierung und aufgrund von klimatischen Veränderungen inkludieren.
  • Wir brauchen keine Institution, die im Namen von “Grenzschutz” die Mauern rund um Europa dicht macht. Frontex gehört abgeschafft.
  • Wir verlangen Rüstungskontrollen, eine schärfere Kontrolle und Verbote von Rüstungsexporten, keine öffentlichen Gelder für Rüstungsforschung und die vollständige Abrüstung von Massenvernichtungswaffen.
  • Ein offenes Europa soll seine Außenpolitik ohne Paternalismus gestalten und in der Entwicklungszusammenarbeit auf tatsächliche Kooperationen auf Augenhöhe mit ihren Partner*innen setzen.
Gleichberechtigtes Europa

Es gibt immer noch viele Hindernisse, die einem gleichberechtigten Leben zwischen Männern und Frauen in Europa im Wege stehen. Wir fordern Selbstbestimmung für unsere persönlichen Lebensverhältnisse und brauchen niemanden, der*die uns sagt, wie wir leben und wen wir lieben sollen. Es darf keinen Unterschied machen welches Geschlecht, welche Identität oder sexuelle Orientierung wir haben oder lieben.

  • Wir fordern die 50%-Geschlechterquote für Politik, Entscheidungsgremien, Aufsichtsräten und Führungspositionen.
  • Wir kämpfen für legale, sichere und frei zugängliche Abtreibungsmöglichkeiten auf Krankenschein.
  • Wir fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
  • Wir fordern genügend Kinderbetreuungsplätze und die Forcierung der Männerkarenz.
  • Wir fordern die restlose Beseitigung von Unterschieden zwischen hetero- und homosexuellen Partner*innenschaften, sowie bei der Eheschließung oder beim Adoptionsrecht.
  • Jede*r soll frei über das eigene Geschlecht entscheiden oder nichtentscheiden dürfen, daher fordern wir die freie Entscheidung oder Nichtentscheidung über das eigene Geschlecht und weitere Eintragungsmöglichkeiten im Pass.
  • Wir kämpfen für die Beseitigung aller Diskriminierungsformen von Homo-, Bi-, Intersexuellen und Transgenderpersonen.