SELBSTVERSTÄNDLICH IST POLITIK FRAUENSACHE
aber die Gesellschaft weiß das noch nicht
Text zuerst erschienen in: BLATTLINIE #2 – Das waren die Jungen Grünen.
Die politische Arbeit bei den Jungen Grünen hat uns oft Möglichkeiten geboten, verschiedene Ansätze auszuprobieren. Der Verband hat es auch oft nötig gemacht, über Lösungen zu grübeln um den politischen Ansprüchen näher zu kommen, die wir uns setzten. Frauenförderung war dabei ein Anspruch, der von uns verlangt hat, über klassisches Vorgehen in linken Gruppen hinauszuwachsen.
Wichtig war dafür die Überzeugung, dass Frauen sich genauso für Politik begeistern, aber am Weg in die politische Arbeit mehr Steine in den Weg gelegt bekommen als Männer. Unsere Aufgabe bestand daher darin, diese Steine aus dem Weg zu räumen. Welche Strategien dafür am erfolgreichsten waren haben wir zusammengetragen, damit uns Steine, die wir schon weggeräumt haben, nicht wieder in den Weg rollen können.
FRAUENFÖRDERUNG IST EINE FRAGE DER ORGANISATIONS- ENTWICKLUNG
Feminismus und Frauenförderung waren für die Jungen Grünen immer Grundwerte und Grundsatzpositionen, die sich in der Organisationskultur und der gesamten Arbeit wiederspiegeln sollten. Eine wichtige Erkenntnis für uns war, dass inhaltliche Arbeit zu feministischen Fragestellungen noch keine Frauenförderung ist. Uns wurde eine klare Unterscheidung wichtig: Beteiligung und Repräsentation von Frauen innerhalb der Organisation auf der einen Seite und inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Feminismus und Gender auf der anderen Seite. Theoriearbeit half uns zu verstehen, warum Frauen benachteiligt werden, aber erst die Arbeit an den Organisationsstrukturen half Frauen auch aktiv im Verband einzubinden.
So kam es auch dazu, dass wir 2014 eine Genderstrategie ausgearbeitet, am Bundeskongress diskutiert und beschlossen haben. Darin haben wir unseren Ansatz zur Frauenförderung, wichtige Instrumente und Ziele definiert. Diese Genderstrategie blieb bis zuletzt der Wegweiser für unsere Arbeit in diesem Feld.
Die wichtigsten Punkte sind dabei:
- Die Förderung von Frauen ist eine Aufgabe aller Mitglieder in der Organisation, die gewählten Vorstände haben aber eine besondere Verantwortung für die Frauenförderung als wichtigen Teil der Organisationsstruktur.
- Die Gestaltung des Außenauftritts und die Wahl der Themen sind maßgeblich dafür verantwortlich, wie viele Frauen sich melden.
- Die Quote ist ein wichtiges Instrument, aber für sich alleine nicht ausreichend.
- Eine offene und einladende Organisationskultur ist wichtig, um Frauen zu signalisieren, dass sie im Verband willkommen sind.
- Für eine erfolgreiche Frauenförderung bedarf es der zielgerichteten Erhebung von Kennzahlen und der regelmäßigen Evaluierung von Maßnahmen auf Grundlage der Faktenlage, damit nicht nur aus dem Bauch heraus entschieden wird.
Diese Punkte und unsere Erfahrungen wollen wir nun in Folge durchgehen.
FRAUENFÖRDERUNG IST FÜHRUNGSAUFGABE
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen benachteiligt werden. Was wir alltäglich lernen ist, Frauen weniger zu fördern und systematisch auszuschließen – und das, ohne es zu merken. Wir konnten die Geschlechterrollen, die in unserer Gesellschaft vorherrschen, auch innerhalb unserer Organisation nicht einfach ausblenden, auch wenn es einfacher gewesen wäre, so zu tun. Um diese Bilder aufzubrechen, waren wir gefordert, neue zu gestalten. Ganz praktisch stellt sich dann die Frage: Wer macht das?
Als Junge Grüne saßen wir dabei zwischen zwei Stühlen: Frauenförderung sollte in einer politischen Organisation die Aufgabe aller Mitglieder gemeinsam sein, doch gleichzeitig könnte man sich nicht darauf verlassen, dass die Basis von selbst in diese Richtung strebt – woher sollte man denn Strategien zur Frauenförderung haben, wenn die Gesellschaft lehrt, Frauen auszuschließen? So wurde Frauenförderung zur Aufgabe von gewählten Personen in Führungspositionen, um klare Verantwortlichkeiten zu garantieren, Raum fürs Ausprobieren zu schaffen und eine Evaluation zu gewährleisten, die es ermöglicht, auf Entwicklungen des Verbands zu reagieren.
JA ZU ZAHLEN UND FAKTEN
Frauenförderung ist ein politisch nicht einfach zu bearbeitendes Thema. Viele Emotionen kochen hoch, sobald es am Tisch ist, wer gefördert wird. Immer wieder fühlen sich Personen zurückgelassen oder finden es unfair, wenn Frauen gefördert werden, aber junge Männer nicht im gleichen Ausmaß. Als Junge Grüne war es uns wichtig, Sexismus nicht als Schuldfrage zu verhandeln, sondern politisch zu argumentieren, warum wir welche Maßnahmen setzen. Mit Zahlen und Fakten zu arbeiten, bewährte sich als gutes Mittel, um Diskussionen zu fundieren und von “Meinungen” oder Kränkungen wegzuleiten. Wichtige Zahlen sind zum Beispiel die Mitgliederstruktur, die Adressbestände, die Teilnehmer*innenzahlen verschiedener Veranstaltungen und Formate, die Dauer der Mitgliedschaft in verschiedenen Gremien, die Anzahl der Interessent*innen, die sich melden und wie viele davon in weiterer Folge eingebunden werden können, sowie die Anwesenheit von Frauen und Männern bei Sitzungen.
Zahlen und Daten über den eigenen Verband als Argumentationshilfe und Evaluationsmoment zu sammeln, ist eine anspruchsvolle Arbeit, daher wurde 2016 ein Geschäftsbereich eingerichtet, um die Arbeit der Organisation weiter zu professionalisieren. Im Geschäftsbereich “Qualitätssicherung & Genderstrategie” haben wir in den knapp eineinhalb Jahren bis zum Rauswurf begonnen, Indikatoren der Frauenförderung zu definieren und für diese systematisch Werte zu erheben. So analysierten wir beispielsweise das Geschlechterverhältnis der Teilnehmer*innen sämtlicher Großevents und Gremien der Vorjahre oder die Verteilung der Funktionen in sämtlichen Vorständen auf Männer und Frauen. Wir haben in der kurzen Zeit als Geschäftsbereich wichtige Grundlagen gesetzt, waren uns aber stets bewusst, dass hier noch viel mehr zu tun ist.
LINKE ÖFFENTLICHKEITSARBEIT ABSEITS MARTIALISCHER BILDER
Einer der wesentlichen Faktoren, mit dem sich die Jungen Grünen von der Vorgängerorganisation und auch vielen anderen linken Gruppen unterschieden, war der Verzicht auf eine martialische Bildsprache und der Versuch, über die Gestaltung und den Auftritt nach außen stärker junge Frauen anzusprechen. Bei dem Design und der Präsentation nach außen sind oft viele Kleinigkeiten wichtig, wie etwa die Farbwahl oder die Auswahl der Titel für Veranstaltungen.
Auch bei der Themenwahl achteten wir stets darauf, welche Wirkung diese auf unterschiedliche Zielgruppen hat. In der Anfangsphase der Jungen Grünen hat insbesondere auch der Fokus auf Themen der ökologischen Nachhaltigkeit dazu geführt, dass verstärkt Frauen zur Organisation dazugestoßen sind. Auch in den letzten Jahre wurde stets kritisch überprüft, welche Themen bearbeitet und mit welcher Aufmachung diese nach Außen kommuniziert wurden.
OFFENE ORGANISATIONSKULTUR
Jede Organisation neigt dazu, sehr viele soziale Codes und eigene Sprachmuster zu entwickeln, von denen sich neue Interessierte schnell ausgegrenzt oder eingeschüchtert fühlen. Um den Eintritt in die Organisation möglichst niederschwellig zu gestalten, wurde versucht, weitestgehend auf Abkürzungen und interne Codes zu verzichten.
Auch die Diskussionskultur hat großen Einfluss darauf, wie einladend und zugänglich politische Organisationen für junge Frauen sind. Männer reden tendenziell mehr und lauter und nehmen sich mehr Raum in Diskussionen. Als Junge Grüne haben wir stets versucht, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen alle zu Wort kommen können und die Redezeit durch gezielte Methoden möglichst verteilt ist. Dabei geholfen haben Techniken wie quotierte Redner*innenlisten und das Sichtbarmachen von Wortmeldungen von Frauen und Männern. Der Versuch bei Großveranstaltungen mit Kleingruppen zu arbeiten, bewährte sich sehr, da in kleineren Gruppen pro Person mehr Redezeit zur Verfügung steht und zusätzlich der Publikumswert für Selbstdarstellerei sinkt. Sehr wichtig war uns auch immer, das Wissensniveau der Teilnehmer*innen vor einer Diskussion auf ein gemeinsames Level zu heben, um eine gleichberechtigte Möglichkeit zur Teilhabe an der Debatte zu ermöglichen.
Die Quote ist gut, aber nicht alles
Die Quotierung von Funktionen im Verband war bis zuletzt eine zentrale Maßnahme. Frauen melden sich seltener selbständig für Führungsrollen, teilweise weil sie sich weniger zutrauen als gleich qualifizierte Männer, teils weil sie niemand anderem die Chance nehmen wollen, oder aus anderen individuellen Gründen. Männer tendieren aufgrund vieler Mechanismen in ihrer gesellschaftlichen Sozialisation meist zum gegenteiligen Verhalten.
Um zu verhindern, dass mehr Männer in Vorstände gewählt werden, einfach nur weil sie sich schneller melden, ist die Quote eine wichtige Regulierungsmaßnahme.
Die Quote hat durch ihre statutarische Festlegung eine verpflichtende Wirkung. Die Verantwortlichen nehmen dadurch viel mehr Anstrengungen auf sich, um Frauen gezielt anzusprechen. Das zeigt seine Wirkung. Alle Vorstände der Jungen Grünen waren paritätisch besetzt. Aber trotzdem konnten wir beobachten, dass die benannten Rollen innerhalb des Vorstands, vor allem die Position der Finanzreferentin/des Finanzreferenten, deutlich öfter von Männern ausgeführt wurden.
Dennoch ist die Quote nicht das Allheilmittel für fehlende Geschlechter-Gleichberechtigung, weil sie nur das Symptom und nicht die Ursache bekämpft. Die gesellschaftlichen Mechanismen, die für die Unterschiede in der Selbstwahrnehmung verantwortlich sind, werden mit der Quote nicht behandelt. Frauenförderung muss mehr als nur das Einführen von Quoten sein.
Des Weiteren hat die Quote, wenn sie nicht in Verbindung mit echter Förderung und Weiterbildung von Frauen steht, sogar einen negativen Effekt. In eine Führungsposition geholt zu werden, nur weil die Statuten das erfordern und nicht, weil man von den Qualifikationen der Frau überzeugt ist, wird oft als Vorurteil gebraucht und als reale Erniedrigung empfunden. Die “Quotenfrau” zu sein ist alles andere als schmeichelhaft.
Die Quote ist zwar eine wichtiges und gutes Mittel, kann aber nicht die Lösung der gesellschaftlichen Probleme sein. Die Quote sollte immer nur in Kombination mit echter Förderung und Weiterbildung von Frauen vorkommen und diese ergänzen, nicht umgekehrt.
Offene Problemfelder
Die Jungen Grünen haben in der Frauenförderung vieles ausprobiert und auch einiges richtig gemacht. Über die Jahre haben wir uns kontinuierlich verbessert und dennoch gab es stets Luft nach oben für Verbesserungen.
Wir konnten als Junge Grüne nicht leugnen, dass uns zwar das ausgeglichene Genderverhältnis bei der Organisationsarbeit gelungen, bei der Theoriearbeit aber leider überhaupt nicht geglückt ist. Ein großer Teil dieser Arbeit wurde von Männern übernommen. Deshalb braucht es Räume und Fortbildungen, in denen sich sowohl Frauen als auch Männer bewusst mit ihrem gesellschaftlich geprägten Verhalten auseinandersetzen. Verstehen, woher gewisse Verhaltensweisen kommen, diese zu reflektieren und zu überdenken, ist Aufgabe jeder und jedes einzelnen von uns. Besonders Frauen muss die gesellschaftlich eingeredete Unsicherheit genommen werden und sie müssen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Ein Versuch, dem entgegenzuwirken, kann sein, gezielt weibliche Vorbilder zu stärken, um Frauen zu zeigen: Theoriearbeit ist selbstverständlich Frauensache.
Frauenförderungen bei den Jungen Grünen – ein Fazit
Gerade weil es, wie eingangs erwähnt, keinen vorgefertigten Masterplan gab, war Frauenförderung stets ein Thema, das weiter- oder neu gedacht werden musste. Mit Erfolg! Ende 2016, zum Zeitpunkt der letzten umfassenden Erhebung, waren 53% der Mitglieder, 54% der Landes- und 58% der Bezirksvorstände Frauen. Das hat sich keineswegs von alleine so eingestellt und die Verantwortung dafür, die positive Entwicklung voranzutreiben, lag klar bei den Führungskräften. Mit dem Geschäftsbereich “Qualitätssicherung & Genderstrategie” wurde diese Verantwortung ein Stück weit institutionalisiert und es folgte eine kontinuierliche Erhebung und Auswertung von Zahlen betreffend der Mitgliederstruktur etc. Vermeintliche Kleinigkeiten wie Veranstaltungsnamen oder Bildsprache wurden bewusst ausgewählt, um Frauen anzusprechen, und auch beim inhaltlichen Programm wurde stark darauf geachtet, welche Themen welche Zielgruppen ansprechen können. Wir waren uns bewusst, dass es für eine gelingende Frauenförderung eine offene Organisationskultur braucht, in der auf Dinge wie freundliches Klima, gleich verteilte Redezeit oder Reflexion von möglichen entstehenden sozialen Codes geachtet wird. Die statutarisch verankerte Frauenquote stellte ein wichtiges, aber dennoch nicht ausreichendes Mittel zur Frauenförderung dar, sodass sie durch andere Maßnahmen ergänzt wurde. Um die Theoriearbeit weniger männerlastig zu gestalten, haben wir zuletzt auch versucht, hier Strategien zu finden und auszuprobieren.
Natürlich gab es stets Verbesserungsmöglichkeiten, aber zusammenfassend soll gesagt werden: Wir waren auf dem richtigen Weg, auch wenn es bis zum Ziel noch weit war. Deshalb dürfen wir auch nicht aufhören, daran zu arbeiten. Die Kennzahlen, die Frauenbeteiligung messen sollten, wuchsen in die richtige Richtung.
Über die Autor:innen:
Tanja Reiter (22) war von 2015 bis 2017 politische Geschäftsführerin der Jungen Grünen Steiermark und im Jahr 2017 Mitglied des Geschäftsbereichs “Qualitätssicherung & Genderstrategie” der Jungen Grünen.
Lukas Wurzinger (30) war von 2010 bis 2013 Mitglied im Bundesvorstand der Jungen Grünen und von 2016 bis 2017 ebenfalls Mitglied des Geschäftsbereichs “Qualitätssicherung & Genderstrategie” der Jungen Grünen.