Ein letzter Blick zurück
Die Parteilogik der Grünen und der Konflikt mit der Jugendorganisation
Text zuerst erschienen in: BLATTLINIE #2 – Das waren die Jungen Grünen
„Ich hatte vorgestern Nacht das erste Gespräch mit Eva Glawischnig, dass wir Junge Grüne in den sieben Jahren seit der Gründung unseres Verbands hatten. Dabei wurde klar, dass der Konflikt auf verschiedenen Ebenen leider zu verfahren ist, um noch zu einem Kompromiss zu finden. Auch ich bin, wie viele andere, enttäuscht und traurig über den Ausschluss der Jungen Grünen durch die Parteispitze.” – Flora Petrik, 01. April 2017
Flora hat Eva zum Abschied einen Kaktus geschenkt, als Erinnerung an die unbequemen Jungen Grünen. Vielleicht hätten wir damals doch das Logo des kämpferischen Kaktus nehmen sollen, als wir Junge Grüne uns ein neues Auftreten gaben. Unsere Warnung im Projektkonzept, mit dem wir als Bundesjugendorganisation der Grünen antraten, dass wir als Junge Grüne nicht dafür da wären, Ruhe zu geben, sondern die Entwicklung der Partei vorwärts zu bringen, scheinen damals nicht ausgereicht zu haben.
Unnötig klare Fronten
Das Verhältnis von Partei und Jugendorganisation nimmt ja oft ein großzügig-paternalistisches Gesicht an. Gönnerhaft wird dann zugestanden, dass “die Jugendlichen” eben radikaler sind. Ihre Rolle ist dann die Partei immer wieder aus ihrem parlamentarischen Trott zu reißen und unbequem zu sein. “Bleibt stachelig” ist die Floskel, mit der die deutschen Grünen der Jugendorganisation ihr kritisches Auftreten absegnen. Ähnlich ist es auch bei der Sozialistischen Jugend Österreichs und der SPÖ.
Als Junge Grüne hatten wir ein spezifisches Verhältnis zur Grünen Partei. Wir waren die größte ehrenamtliche Teilorganisation, und auch wenn sich das schlecht quantifizieren lässt, hatten wir zumindest in einzelnen Wahlkämpfen einen nennenswerten Anteil an Grünen Wahlerfolgen. Gleichzeitig haben wir immer wieder öffentlich den Kurs der Bundespartei kritisiert. Wenn es intern kein Gehör gab, versuchten wir manchmal den Weg des öffentlichen Drucks.
Steht eine Partei in einer stabilen Situation, so kann sie aus einer solchen Jugendorganisation enorme Stärke generieren. Aber Stabilität setzt voraus, dass es ein klares Selbstbild der Partei(führung) und ihrer Grenzen gibt, und darüber, welche Rollen andere Organisationen im Parteigefüge erfüllen können. Produktiv ist das Verhältnis dann, wenn sich das halbwegs mit dem Selbstbild der übrigen Parteiorganisationen deckt.
Stellen wir uns kurz vor, der Aufbau der Jungen Grünen wäre im Umfeld einer Partei erfolgt, die diese Souveränität gehabt hätte: Die Geschichte wäre eine völlig andere. Aus ideologischer Sicht hätte es nicht automatisch dazu kommen müssen, dass Junge Grüne und Grüne einmal getrennte Wege gehen. Hätten die Grünen ein klares Bild davon gehabt, warum eine Jugendorganisation als eigenständiger Funktionär*innenkörper und selbstständige Mobilisierungsstruktur ein enormer Gewinn für eine Partei sein kann, wäre vieles anders gekommen – ob wir Junge Grüne das selbst gerne hören oder nicht.
Die meisten prägenden Leute bei den Jungen Grünen haben die Grünen häufig von links kritisiert. Aber wäre von Seiten der Grünen mehr ehrliches Interesse an unserer Arbeit und unseren Positionen gekommen, hätte man versucht, uns zu integrieren ohne uns plump zu vereinnahmen, hätte es andere Strukturen für die personelle Schnittstelle von Jugendorganisation und Partei gegeben; die Jungen Grünen wären eine völlig andere Organisation geworden. Wir haben viele Positionen weiterentwickelt und Analysen vertieft, aber die Kontinuitäten können nicht darüber hinwegtäuschen, wie leicht unsere politischen Prämissen andere hätten werden können – wenn man uns andere Machtoptionen gegeben hätte.
Insofern zeigt das, dass die Grünen keine Vorstellung davon hatten, warum eine eigenständige Jugendorganisation wichtig ist. Sie wollten eigentlich keine starke Struktur und ignorierten uns eher, auch das war ein Grund für unsere heutigen Positionen. Irrationale Mythen wie die Verschwörung der “Grazer Zelle”, die die Jungen Grünen so mächtig mache, zeigen nur, wie wenig Funktionär*innen wie Michel Reimon von Parteiarbeit verstehen. Hätten er und andere uns nicht als Utopist*innen belächelt, sondern versucht, unsere Potentiale für die Partei zu nutzen, wären die meisten wohl darauf eingegangen. Die versteckte Macht der Anderen wird zur Chiffre für das eigene Unvermögen.
Die Logik der Grünen
Die Grünen wollen die sachlichsten Politiker*innen sein. Auch in der Diskussion “Im Zentrum” hat sich Eva Glawischnig darauf zurückgezogen: Die Grünen vertreten in der Öffentlichkeit, eine unideologische, an Sachfragen interessierte Partei zu sein. Es gibt aber keine unideologischen Parteien. Mit diesem Verzicht, gesellschaftliche Konflikte auszutragen, verschweigen sie, wofür es aus linker Sicht eigentlich zu kämpfen gilt. Die Grünen sind wie keine andere Partei eine Parlamentspartei geworden. Weil ihnen der Druck, den sie sich selbst durch politische Utopien und Begeisterung in der Bevölkerung schaffen müssten fehlt, sind sie ein isolierter Apparat ohne gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch geworden. Das hat verstärkt, dass das politische Denken sich vor allem am eigenen Apparat orientiert: Die politische Wirklichkeit der Parteiführung bildet sich vor allem in Diskussionen mit sich selbst.
Mit dieser politischen Entwicklung gingen auch organisatorische Charakteristika einher. Die Sozialdemokratischen Parteien waren lange Lebenswelten für ganz viele Menschen. Von der Partei über alle möglichen Vorfeldorganisationen wie die Kinderfreunde, Gesangsvereine, Bildungsvereine bis hin zu einem eigenen Autofahrer*innenverein hat die SPÖ versucht, von der Wiege bis zur Bahre Orte für ihre Mitglieder zu organisieren, wo in den verschiedensten Bereichen des Alltags Engagement und auch Identifikation möglich waren.
Die Grünen blieben ein schlanker Parteiapparat mit losen Mitgliederbindungen. Es gab sukzessive weniger Möglichkeiten, was Formen der demokratischen Beteiligung angeht. Gleichzeitig setzten sie in den letzten Jahren auf den Zukauf von Mobilisierungskraft. Wahlkämpfe werden nicht nur, aber oft zentral von bezahlten Kräften geplant und durchgeführt, die stärker von der Parteiperformance abhängig sind als vom Erreichen ihrer gesellschaftlichen Ziele. Damit existiert weniger Verbindlichkeit gegenüber den eigenen Mitgliedern, weniger Notwendigkeit, Positionen durchzustreiten und damit einen breiten Diskussionsprozess organisieren zu müssen. Das ist ein Grund, warum die Anerkennungskultur für Ehrenamtliche innerhalb der Grünen so schlecht ist.
Die Grünen wurden zu einem Wahlverein, in dem kaum noch politische Bewusstseinsbildung und Grundlagenarbeit passiert. Diese gefühlte Unabhängigkeit der Parteiführung von ihren Mitgliedern lässt die Illusion entstehen, sie könnte auf diese verzichten, da dort, wo die Partei politisch tätig ist, die Arbeit auch mit bezahlten Kräften funktioniert. Dabei ignoriert sie aber den bedeutendsten Teil der Parteiarbeit, der nicht im Wahlkampf, sondern der alltäglichen Motivation der Mitglieder besteht, in ihrem Umfeld und im Rahmen breiter Kampagnen die Botschaften nach außen zu tragen.
Die Inszenierung der Grünen Hausbesuche in den letzten Wahlkämpfen täuscht darüber hinweg, dass diese alltägliche Arbeit kaum bis gar nicht organisiert wird. Die Illusion der Unabhängigkeit führt zu einem Denken, dass vermeintlich unkontrollierte Aspekte der Mitglieder, sei es öffentliche Kritik an der Parteiführung, sei es öffentliche Diskussion der Inhalte und Ziele der Grünen, seien es organisatorische Neuerungen, die auf eine breitere Öffnung hinzielen, als parteischädigend wahrnimmt. Die Basis hält sich nicht an den Plan der Partei, in dem sie allerdings kaum vorkommt.
Dieses Denken führt auf lange Frist zu einer Abkapselung der Parteiführung von ihren eigenen Mitgliedern, wofür der Punkt, dass sich Eva in sieben Jahren nicht einmal Zeit für einen Termin mit ihrer Jugendorganisation genommen hat, nur einer von vielen Hinweisen ist. Diese Abkapselung verstärkt die Selbstverstärkung der Apparatslogik nur noch weiter.
Entgegen der Logik ist logisch
Diese Selbstbezogenheitdes Apparates ist für Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, wenig attraktiv. Sie wollen die Welt verändern und dafür müssen sie viele Menschen begeistern. Als Einzelpersonen stören sie den Apparat jedoch auch nicht. Entweder sie kanalisieren ihre Energien in die Angebote, soweit sie bestehen, bewegen sich lose im Umfeld oder sie werden in die Funktionär*innenkreise aufgenommen. Treten solche Leute aber massenhaft und organisiert auf, können sie im Apparat größere Irritationen auslösen. Das zeigt sich eindrücklich daran, dass dort , wo bei den Grünen weniger Funktionär*innendenken und mehr Ehrenamt prägend war (vorwiegend auf lokaler Ebene), die Kooperation mit den Jungen Grünen großteils sehr gut war.
Die Jungen Grünen haben ein anderes Politikverständnis hochgehalten als die Parteiführung und auch mit Kritik nicht gespart. Das ist noch relativ unproblematisch. Aber die Jungen Grünen haben, wenn auch nicht mit Nachdruck, wo es eben möglich war, daraus auch innerhalb der Partei Konsequenzen gezogen. Die Jungen Grünen waren seit ihren Anfängen in der Steiermark darin involviert gewesen, punktuell Machtverhältnisse infrage zu stellen und konzeptuelle sowie organisatorische Brüche zu forcieren. Ob das das Selbstverständnis der Grünen Bildungswerkstatt betrifft oder die Ohnmacht der Student*innen- und Jugendorganisation. Die Jungen Grünen haben natürlich Personen gepusht, Konflikte ausbrechen lassen oder Mitglieder motiviert, in die Partei einzutreten.
In erster Linie ging es uns darum, in der Partei ein Umdenken zu befördern. Die wenigsten hatten große Lust auf Funktionen bei den Grünen. Aber wenn sichtlich war, dass da Potential für positive Veränderungen war, nahmen wir es war. Und auch die Grünen legten uns das nicht als individuelles Machtstreben aus, selbst wenn der mediale Spin 2017 dann darauf abzielte. Ein gutes halbes Jahr vor dem Konflikt 2017 wurde uns etwa zugetragen, wir wären ein geschlossener Block, der Organisationspositionen vertrete, und es würde viele in der Partei irritieren, dass man sich individuell mit uns nichts aushandeln könne. Diese Warnung reflektiert viel von der Logik des Apparats. Es lässt sich innerhalb von Netzwerken schon ein Kompromiss ausdealen, die Machtbedürfnisse der einzelnen Funktionär*innenzirkel sollen nicht angetastet werden.
Letztlich gibt es innerhalb des Selbstbildes des grünen Apparates keinen Platz für eine eigenständige Jugendorganisation, soweit sie mehr ist als ein Deckverein, um die Jugendförderungen des Staates in vermeintlich poppigerem Design unter die Leute zu bringen. Breitere Organisierung von Mitgliedern innerhalb und am Rande der Partei ist nicht vorgesehen und nicht einordenbar. Da die Apparatslogik der Grünen an Funktionär*innen-Cliquen orientiert, auf geringe Mitgliederzahlen ausgerichtet ist und seit dem Umbau der Partei unter Stefan Wallner auch relativ explizit top-down funktioniert, ist es unmöglich, andere Logiken (wie die einer Jugendorganisation) in die Partei zu integrieren.
Während der SPÖ relativ egal sein kann, wenn die Parteijugend zu frech wird (im Notfall werden eben einzelne Funktionär*innen ausgeschlossen) und man in der SPÖ über relativ stabile Machtbalancen verfügt, in die die SJ ebenso integriert ist wie die Gewerkschaftsfraktion und andere Großorganisationen, sind die Jungen Grünen zum Fremdkörper in der Partei geworden. Die SPÖ kalkuliert damit, dass die SJ als Durchlauferhitzer funktioniert, und die Partei die Aktiven sukzessive integriert. Damit entsprechende Nachwuchstalente hervorgebracht werden, ist ein Einsteigen in machtpolitische Auseinandersetzungen unabdingbar. Bei den Grünen lösten selbst die vereinzelten Engagements bei einzelnen Vorstandswahlen bereits helle Panik aus.
Kritik der apparatförmigen Unvernunft
Die Irrationalität, die viele Grüne getrieben haben muss, um den Konflikt mit den Jungen Grünen so weit zu treiben, ist erschreckend. Aber sie wird nachvollziebar vor dem Hintergrund der Funktionslogik des Apparats.
Die Partei als Echokammer: Die Diskussionen, wie die Grünen erfolgreich ihre Politik verbreiten können, haben sich in den letzten Jahren sehr verengt. So auch die Frage, welchen Stellenwert die Jugendorganisation in der Partei haben sollte. Dass über den Erhalt oder die Trennung von einer gesamten Organisation ein erweiterter Bundesvorstand entscheiden kann ist schon absurd. Aber in fortwährender Verstärkung wurden Gerüchte hochgekocht, die sich die Funktionär*innen gegenseitig erzählten und sicherlich das eine oder andere Mal vergaßen, dass sie sie mit verbreitet hatten. So kursierten Geschichten wie die Wahnidee, Junge Grüne hätten gedroht, die Partei zu zerstören, wenn die Grünen Studierenden nicht als neue Hochschulfraktion anerkannt würden. Die Parteispitze war so selbstreferenziell geworden, dass sie über wenige Korrekturinstanzen verfügte, die ihnen ihren Irrsinn spiegelten.
Die Partei als Cliquenseilschaft: Macht wird innerhalb der Grünen unter einer relativ kleinen Schicht von Funktionär*innen ausgeschnapst. Es herrscht eine hohe persönliche Verflechtung. Und auch wenn viele schlecht übereinander herziehen, sind sie in diesem Kalkül relativ berechenbar und kompromissfähig. Die Jungen Grünen, die substantielle Änderungen wollten, waren nicht über diese persönliche Ebene integrierbar. Auf einer organisatorischen Ebene wurde die Größe der Jungen Grünen langsam bedrohlich. Auf einer Ebene der Aktivist*innen konnten die Jungen Grünen in ihrer Höchstphase mehr als ein Zehntel der Mitgliederzahl der Grünen mobilisieren. Das klingt nicht besonders viel, wenn man aber weiß, wie viele Karteileichen die Grünen haben, wird daraus schnell eine machtpolitisch relevante Größe.
Die Partei und ihr linker Flügel: So grotesk es ist, aber die größte Verleumdung erfuhren die Jungen Grünen nicht durch die konservativeren Grünen. Gerade der linke Flügel musste am allermeisten wissen, wie sehr die Jungen Grünen die Grünen verraten würden. Indem die Jungen Grünen darauf beharrten, den Grünen Studierenden gegenüber solidarisch zu sein, griffen sie implizit eine der langjährigsten Seilschaften des linken Flügels an – die GRAS. Ohne es sich bewusst zu machen, haben sie dabei aber wohl mehr über sich als über die Jungen Grünen gesagt. Denn was sie sich selbst als individuelle Anpassung an einen depolitisierten Apparat abgerungen haben, das haben die Jungen Grünen verweigert. Dafür mussten wir bestraft werden.
Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch wir sind Opfer unserer eigenen Geschichtserzählung geworden. Wir haben den Rauswurf nicht kommen sehen. Warum? Sicher haben wir die Irrationalität des Apparats unterschätzt. Aber wir waren auch überheblich genug zu glauben, unsere Erfolge als Junge Grüne würden uns unantastbar machen. Beides werden wir uns in Zukunft nicht mehr leisten.
Über die Autorin:
Sarah Pansy war 2009 – 2011 Koordinatorin der Grünalternativen Jugend Graz, 2010 – 2011 im Landesvorstand der Grünalternativen Jugend Steiermark und Gründungsmitglied der Jungen Grünen. Von 2014 – 2017 war sie Vorsitzende der Rosa Luxemburg Initiative Bremen und ist seit 2016 im Redaktionsteam der BLATTLINIE. Sarah war 2017 Sprecherin der Jungen Grünen als die Aktivist:innen neue Perspektiven suchten.